Nebenklagevertreterin: „Verurteilte können weiter grinsen“

admin am 23. März 2010 um 20:44

Nachfolgend veröffentlichen wir eine Erklärung von Rita Belter, die im Prozess um den Angriff von Neonazis auf links-alternative Jugendliche in Pölchow als Vertreterin der Nebenklage auftrat und nun Stellung zum Urteil bezieht.

Stellungnahme der Nebenklagevertreterin zum Pölchow-Urteil

Die Geschichte steht in aller Klarheit fest: ca. 60 Teilnehmer des Festivals „Fusion“ werden am Bahnhof Pölchow von ca. 120 Nazis angegriffen; der Waggon wird mit Steinen attackiert, es dringen Schläger in den Zug ein, es wird eine Vielzahl von Menschen verletzt, Linke aus dem Zug und teilweise über den angrenzenden Zaun geschmissen…

All das hat das Landgericht Rostock zutreffend zur Grundlage eines Urteils gemacht, welches in Schuldspruch und Strafzumessung so gar nicht mit den getroffenen Feststellungen korrespondieren will. So wurden die Angeklagten zwar wegen Landfriedensbruch verurteilt, jedoch nur wegen einfacher Körperverletzung. Eine gemeinschaftliche Begehung sei nicht ersichtlich. Nicht?! Man stelle sich vor: aus einer Menge von ca. 120 Nazis vor dem angegriffenen Waggon lösen sich 2 Gruppen, die durch die hintere und vordere Waggontür in den Zug strömen, wobei zumindest die Anführer der beiden Gruppen (die beiden verurteilten Angeklagten) mehrfach auf Menschen einschlagen und -treten. In ihrem Schlepptau nicht nur ein Kameramann, der alles aufzeichnet, sondern weitere Beteiligte, die zusammen mit den beiden Angeklagten den Zug nach vermeintlichen Antifas durchkämmen. Diese Gruppen sorgen dafür, dass die angegriffenen Personen teils aus dem Zug in die draußen wartende Menge geschubst werden, wo es weitere Schläge und Tritte gibt oder die Zuginsassen „freiwillig“ den Waggon verlassen. Ein bewusstes Zusammenwirken der rechten Schläger also, was zu einer viel höheren Gefährlichkeit der konkreten Tatsituation führt als eine sog. einfache Körperverletzung. Ein Umstand, der zu einer gesetzlich vorgesehenen Mindestfreiheitsstrafe von 6 Monaten führt, zumindest nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB und der hierzu ergangenen Rechtsprechung.
Warum sich das Landgericht Rostock darüber hinwegsetzt, ist weder nachvollziehbar noch erklärbar. Entsprechendes gilt für die verhängten Strafen. Ein Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung für den mehrfach u.a. wegen Körperverletzungen vorbestraften Angeklagten Dennis F., dem die Verfahrensverzögerungen in die Hände spielten, so dass eine zwischenzeitlich verhängte Bewährungsstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung nunmehr wohl erlassen wird. Ebenfalls eine Bewährungsstrafe für den Chef des Ordnungsdienstes der NPD, der, wenn man den Ausführungen seines Verteidigers Glauben schenkt, als Quasi-Polizist für Ordnung sorgen wollte. Daß er hierbei mindestens 4 Zuginsassen vorsätzlich verletzte und Sprüche wie „Reißt ihnen die Piercings raus“ u.ä. skandierte, hielt ihn nicht davon ab eine ominöse Notwehrlage gegen angeblich vermummte militante und bewaffnete Autonome zu konstruieren, die mit der Inaugenscheinnahme des vor Ort aufgenommenen Polizeivideos vollends in Staub zerfiel: kein einziger verletzter Nazi zu sehen, auch keine schwarz vermummten Autonomen, dafür eine Unzahl von Glassplittern, Haarbüschel und Blut im Zug sowie eine Vielzahl verletzter linker Jugendlicher.
Diesen wurde in der Urteilsbegründung zur Last gelegt, sie hätten viel zu spät Anzeigen erstattet. Interessanterweise gab es bereits vor Ort Versuche Strafanzeigen gegen die Nazis zu erstatten. Da aber Udo Pastörs gegenüber den eingetroffenen Ermittlungsbeamten sogleich eine an den Haaren herbeigezogene Geschichte von einem angeblich linken Überfall vom Stapel ließ, wurden die Angegriffenen als Beschuldigte belehrt und ausgiebig videographiert. Die Menschen, die sich gegen diese Behandlung wehrten und Widerspruch einlegten, waren dann auch die, gegen die sich das Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruch in Pölchow zunächst richtete.
Die Rechten sollten – nachdem der Zug aus Pölchow am Bahnhof Rostock eingetroffen war – ebenfalls videographiert werden. Diese Maßnahme wurde allerdings abgebrochen und die Aufzeichnungen aus „Datenschutzgründen“ gelöscht.
In der Urteilsbegründung stellt das Landgericht Rostock heraus, der Polizei sei kein Vorwurf zu machen. Kein Vorwurf für die unzureichenden Bildaufzeichnungen der Rechten, die nicht nur zu einer öffentlichen Fahndung nach einem bereits namentlich bekannten Beschuldigten führten, sondern auch zu der ursprünglich beschlossenen Nichteröffnung des Verfahrens aufgrund mangelhafter Lichtbildvorlagen.
Vor weiteren Überfällen der Nazis auf politisch anders denkende wird diese Entscheidung des Gerichtes wohl kaum abschrecken. So können die Verurteilten weiter grinsen, wie sie es die gesamte Verhandlung über, insbesondere bei den Vernehmungen der geschädigten Zeugen, getan haben.

Am Ende noch ein Wort zu einem Artikel der jungen Welt vom 17.03.2010, der den krönenden Abschluß einer Pannenserie darstellt: Wenn Sie, Herr Frank Brunner, in einer Hauptverhandlung feststellen, dass zuhörende Nazis private Daten aufzeichnen, sollten Sie den Mund aufmachen, dass dieses sofort unterbunden und die Aufzeichnungen eingezogen werden können. Eine telefonische Aussage im Februar 2010 „derzeit kein Interview zu geben“ sodann in falsche Zusammenhänge zu rücken, mit unvollständigen Zitaten aneinanderzureihen und 3 Wochen später – nach Urteilsverkündung – zu veröffentlichen, zeugt von der Qualität des Journalismus, die man insbesondere der Bildzeitung nachsagt.

Rita Belter

„Das Urteil im Pölchow-Prozess hat ein fatales Signal gesetzt.“

admin am 16. März 2010 um 23:56

Angeklagte kommen im „Pölchow-Prozess“ mit Bewährungsstrafen davon – Vor Prozessbeginn schlagen Neonazis erneut um sich

Pressemitteilung der Prozessgruppe Pölchow vom 16. März 2010

Im Prozess um den brutalen Übergriff von Neonazis auf eine Gruppe links-alternativer Jugendlicher am Bahnhof Pölchow wurde heute vor dem Landgericht Rostock das Urteil gesprochen. Die Angeklagten Michael Grewe und Dennis F. wurden zu Bewährungsstrafen verurteilt, Stefan V. wurde aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Im Vorfeld der Verhandlung wurden nicht-rechte Prozessbeobachter aus einer Gruppe von Neonazis, unter ihnen führende Kader der NPD, tätlich angegriffen. Es gab mehrere Verletzte.

Zu ausgesprochen milden Strafen verurteilte das Landgericht Rostock die beiden vorbestraften Neonazis Dennis F. und Michael Grewe wegen Körperverletzung und Landfriedensbruch. Für Michael Grewe verhängte das Gericht eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten, ausgesetzt auf eine Bewährungszeit von zwei Jahren. Dennis F. wurde zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt, ausgesetzt auf drei Jahre. In der Urteilsbegründung stellte der Richter fest, dass es sich – anders als von den Neonazis behauptet – nicht um eine wechselseitige Schlägerei, sondern um einen rechten Übergriff auf nicht-rechte Jugendliche handelte. Für die „Vielzahl von Schlägen und Tritten gegen Personen, die eher dem linken Spektrum zugeordnet werden können, aber auch gegen Unbeteiligte“ gäbe es keinerlei Rechtfertigungsgründe.

Strafmildernd wurde vom Gericht gewertet, dass die Tat über zwei Jahre zurückliegt und die beiden Angeklagten Grewe und Franke seitdem nicht wieder strafrechtlich in Erscheinung getreten sind. Die Verurteilung müsse auf einfache Körperverletzung lauten, da der Einsatz von Waffen fragwürdig schien und den Angeklagten keine gemeinschaftliche Tathandlung nachzuweisen sei. Letzteres sorgte für Irritationen, zumal sich die Angeklagten Grewe und Franke in ihren Einlassungen selbst als gemeinschaftlich handelnde Akteure präsentiert hatten. Auch den ideologischen Hintergrund der Tat blendete das Gericht aus. Der Anwalt eines Nebenklägers findet das skandalös: „Die menschenverachtende Einstellung, die in dieser Tat zum Ausdruck kam, muss sich strafverschärfend auswirken!“ So wurden nach Aussagen von Betroffenen die Angreifer durch die Tat begleitende Kommandos wie „Reißt ihnen die Piercings raus!“ zur rechten Gewalt gegen Menschen, die sie als politische Gegner ausmachten, angeheizt. Dennis F., der im Prozessverlauf durch sein Auftreten im und vor dem Gerichtsaal keinerlei Reue gezeigt hatte, wurde zudem eine vermeintliche „Entschuldigung“ am Ende der Beweisaufnahme zu Gute gehalten – wenngleich diese lediglich jenen galt, die als „Unbeteiligte“ den Angriffen ausgesetzt waren.

Der dritte und ebenfalls mehrfach straffällig gewordene Angeklagte Stefan V. kam mit einem Freispruch davon. Nicht zuletzt aufgrund schlampiger Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft bleibt für ihn wie für eine Vielzahl von Neonazis der rechte Übergriff vom Juni 2007 folgenlos. Kritik an den Ermittlungsbehörden wies der Vorsitzende Richter während der Urteilsverkündung jedoch entschieden zurück. Der Polizei sei „kein Vorwurf zu machen“ und von einer „großen Polizeipanne“ könne keine Rede sein. Die Prozessgruppe hatte zuletzt mit einer Kundgebung am Tag vor der Urteilsverkündung auf die unrühmliche Rolle von Polizei und Staatsanwaltschaft im Fall Pölchow aufmerksam gemacht. „Die Pannen der Ermittlungen reichen von einer verfehlten Spurensicherung am Tatort, über Ermittlungen gegen die Opfer des rechten Angriffs bis hin zu dem blamablen Fahndungsaufruf nach NPD-Funktionär Michael Grewe. Auch im Prozess haben diese Verfehlungen ihre Fortsetzung gefunden, wie etwa an der Kritik gegenüber der Staatsanwältin deutlich wurde “, so Franziska Holtz, Pressesprecherin der Prozessgruppe Pölchow: „Genau genommen handelt es sich um eine ganze Serie von Pannen.“

Auch das Gerichtsurteil trifft bei der Prozessgruppe auf Unverständnis: „Das Urteil im Pölchow-Prozess hat ein fatales Signal gesetzt. Wer versucht Zivilcourage gegen Rechts zu zeigen, daraufhin im Zug von Neonazis brutal zusammengeschlagen wird und dann Anzeige erstattet, läuft augenscheinlich Gefahr selbst ins Fadenkreuz der Ermittlungen zu geraten, vor Gericht von Anwälten der Neonazis auseinander genommen und von den Angreifern verspottet zu werden,“ so Nils Behrendt von der Prozessgruppe. „Am Ende sitzen breit grinsende Neonazis auf der Anklagebank, die mit läppischen Strafen nach Hause gehen und weiter ihrer gewaltverherrlichenden und menschenverachtenden Ideologie frönen.“

Noch vor Beginn der Gerichtsverhandlung gingen Neonazis erneut gewaltsam gegen linke Prozessbeobachter vor. In der Gruppe von Rechten befanden sich neben den Angeklagten Grewe und Franke auch ranghohe NPD-Funktionäre wie der wegen gefährlicher Körperverletzung vorbestrafte Stefan Köster. Aus der Gruppe heraus schlugen und warfen Neonazis mit schweren Gegenständen um sich. Laut einem Bericht der taz warfen sie dabei auch einen Feuerlöscher aus mehreren Metern Höhe. Bei den Übergriffen wurden mehrere Menschen verletzt und mussten ärztlich behandelt werden. Der Neonazi David Petereit, der für die NPD in der Rostocker Bürgerschaft sitzt, filmte die Szenerie. Obwohl für den Prozess von Beginn an enorme Sicherheitsvorkehrungen galten, traf die Polizei erst kurz vor Beginn der Verhandlung ein und begann damit zunächst die Neonazis in den Gerichtsaal zu leiten. Während des Prozesses wurden die bis zu 60 anwesenden Neonazis schließlich durch eine Polizeikette streng von nicht-rechten Zuhörern getrennt.

Milde Strafen für brutale Schläger

admin am 16. März 2010 um 23:06

Bericht vom Tag der Urteilsverkündung am 16. März 2010 in der Verhandlung um den Neonazi-Überfall in Pölchow 2007

Ein Jahr Freiheitsstrafe, ausgesetzt auf drei Jahre Bewährung sowie eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten, ausgesetzt auf zwei Jahre. So lauten die ausgesprochen milden Urteile gegen die Neonazis Dennis F. und Michael Grewe wegen Landfriedensbruch in Tateinheit mit Körperverletzung, die heute vor dem Landgericht Rostock gesprochen wurden. Zudem müssen die beiden Neonazis 75 bzw. 150 Sozialstunden ableisten. Der dritte Angeklagte Stefan V. wurde aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Innerhalb einer Woche kann Revision gegen das Urteil eingelegt werden. „Ein langes Verfahren geht zu Ende, zumindest für diese Instanz“, kommentierte der Richter Wolfgang Strauß zu Beginn des achten und letzten Verhandlungstages.

Richter bestreitet Ermittlungspannen

In seinem Ausführungen zum Tathergang folgte der Richter weitgehend den Aussagen der Betroffenen und stellte heraus, dass es sich – anders als von den Neonazis behauptet – nicht um eine wechselseitige Schlägerei, sondern um einen rechten Übergriff auf links-alternative Jugendliche handelte. Demnach begaben sich am 30. Juni 2007 etwa 50 bis 60 Besucher vom Fusion-Festival in Lärz, dem Aufruf zur Teilnahme an einer Demonstration gegen die NPD in Rostock folgend, mit mindestens einem Bus in Richtung Hansestadt. In Schwaan wurde die Fahrt mit der S-Bahn fortgesetzt. Die Jugendlichen – die ihrer Kleidung nach eher dem linken Spektrum zuzuordnen waren – eilten zum Zug, der schon in den Bahnhof eingefahren war und bestiegen den ersten Waggon. Dort trafen sie auf sieben Neonazis, die daraufhin mit verbalen Drohungen und im Zuge einer Rempelei am Haltepunkt Pölchow aus dem Waggon gedrängt wurden. Sichtbare Verletzungen trugen diese nicht davon. Die Angeklagten Michael Grewe und Dennis Franke, die Teil einer Gruppe von bis zu 150 Neonazis waren, die auf der Fahrt nach Rostock in den hinteren Waggons des Zuges reisten, nahmen diesen Vorfall mit weiteren Neonazis zum Anlass, um in den ersten Waggon zu gelangen. „Gar keine Diskussion“ gibt es nach Auffassung des Richters darüber, dass dabei eine Scheibe von Außen zu Bruch ging. Im weiteren Verlauf zeichnete Grewe für eine „Vielzahl von Schlägen und Tritten gegen Personen die eher dem linken Spektrum zugeordnet wurden, aber auch gegen Unbeteiligte“ verantwortlich. Grewe habe dabei nachweislich auf mindestens vier Personen eingeschlagen und auch die Tatbeteiligung von Dennis F. sei unstrittig. Da vor dem Zug weitere Neonazis im Spalier standen, zögerten die Betroffenen des Angriffs zunächst den Waggon zu verlassen. Vom Bahnsteig aus wurden einige Opfer schließlich über einen Jägerzaun geworfen und eine Böschung hinunter gestoßen.

Im weiteren Verlauf der Schilderung über den Tathergang verwahrte sich der Vorsitzende Richter Wolfgang Strauß gegen eine Kritik an den polizeilichen Ermittlungen. Der Polizei sei „kein Vorwurf zu machen“ und von einer „großen Polizeipanne“ könne nicht die Rede sein. Dabei verwies Strauß auch auf das Video vom Polizeieinsatz, indem die eingesetzten Polizeibeamten über Funk auf eine „Schlägerei“ zwischen Linken und Rechten am Bahnhof Pölchow in Kenntnis gesetzt wurden. Wie die Prozessgruppe Pölchow bereits berichtete, zeigten diese Aufnahmen jedoch auch die Spuren der Gewalt, die jeder Vorstellung einer wechselseitigen Auseinandersetzung diametral entgegenstehen und dokumentieren, wie die Betroffenen des Angriffs – viele von ihnen erheblich verletzt – im Gegensatz zu ihren Angreifern intensiv kontrolliert und videographiert wurden.

NPD-„Ordnungsdienst“ schlug wahllos auf Menschen ein

Die Verurteilung von Michael Grewe und Dennis F. müsse auf einfache Körperverletzung lauten. Der Einsatz von Waffen schien dem Gericht fragwürdig. Die Aussage eines Betroffenen, der im Prozess als Nebenkläger auftrat und berichtete Grewe habe mit Quarzsandhandschuhen zugeschlagen, wurde angezweifelt. Eine Unterscheidung der schlagkraftverstärkenden Handschuhe von gewöhnlichen Motoradhandschuhen sei nur schwer möglich. Auch sei den Angeklagten keine gemeinschaftliche Tathandlung nachzuweisen. Dies sorgte nicht zuletzt deshalb für Irritationen, weil die Angeklagten in ihren schriftlichen Einlassungen selbst über ihr Zusammenwirken mit weiteren Anhängern der rechten Szene Auskunft gaben. So teilte Dennis F. schriftlich mit, wie er „ziemlich zeitgleich“ mit Grewe „den Waggon betrat“, um später mit Grewe und „anderen […] Personen aus dem rechten Lager“ festzustellen, dass sich dort keine weiteren Rechten befinden.

Beide Angeklagte wurden des Landfriedensbruchs für schuldig befunden, da sie aus einer Gruppe von Menschen agierten. Durch das Verhalten von Michael Grewe, den das Gericht als „Rädelsführer“ des rechten Übergriffs ausmachte, sah das Gericht zudem den besonders schweren Fall des Landfriedensbruchs erfüllt. Da er ausgab durch seine Tätigkeit im „Ordnungsdienst“ der NPD um Recht und Gesetz bemüht zu sein, bezeichnete der Richter seine Taten als „besonders verwerflich“. Ihm sei strafverschärfend anzulasten, dass er in dieser Position „wahllos auf Menschen einschlägt.“ In dem Zug nach Rostock befanden sich auch Familien mit Kindern. Die Taten haben damit, so der Vorsitzende Richter, das „Sicherheitsgefühl der Bevölkerung“ beeinträchtigt.

Gericht verkennt rechte Tatmotivation

Kaum Relevanz wurde bei der Bestimmung des Strafmaßes den Vorstrafen der Angeklagten beigemessen, da sie im Fall von Grewe bereits mehrere Jahre zurückliegen und der Bewährungsverlauf von Dennis F. „positiv“ gewesen sei. Letzterem wurde auch zu Gute gehalten, dass er sich am Ende der Beweisaufnahme zu einer Art Entschuldigung durchgerungen hatte, die jenen galt, die als „Unbeteiligte“ den Angriffen ausgesetzt waren. Strafmildernd wurde vom Gericht zudem gewertet, dass der rechte Übergriff in Pölchow über zwei Jahre zurückliegt und die beiden Angeklagten Grewe und Franke seitdem nicht wieder strafrechtlich in Erscheinung getreten sind. Auch habe es durch die vorangegangene Rempelei im Zug einen Anlass für die Tat gegeben, der diese jedoch „in keinster Weise“ entschuldige.

Auf die politische Gesinnung der Angeklagten wollte der Richter keinen direkten Bezug nehmen, denn die Zugehörigkeit zu einer politischen Organisation dürfe keinen Einfluss auf das Strafmaß nehmen. Dass sich der Vorsitzende Richter für ein NPD-Verbot ausspreche, „stehe auf einem anderen Blatt.“ Das Gericht verkannte jedoch die rechte Tatmotivation, die während der Tatausführung deutlich wurde: Etwa durch Parolen und Kommandos, aber auch durch eine Art „Selektion“ der Opfer, über die Zeugen im Prozess berichtet hatten. Die Anwälte der drei Nebenkläger hatten in ihren Plädoyers eindrücklich auf den ideologischen Hintergrund der Gewalt hingewiesen. Dass dieser völlig ausgeblendet wurde sei „skandalös“, so ein Nebenklagevertreter.

Vor Urteil: Mehrere Menschen durch Neonazis verletzt

Noch vor Beginn der Gerichtsverhandlung gingen Neonazis erneut gewaltsam gegen linke Prozessbeobachter vor. In der Gruppe von Rechten befanden sich neben den Angeklagten Grewe und Franke auch ranghohe NPD-Funktionäre wie der wegen gefährlicher Körperverletzung vorbestrafte Stefan Köster. Aus der Gruppe heraus schlugen und warfen Neonazis mit schweren Gegenständen um sich. Laut einem Bericht der taz warfen sie dabei auch einen Feuerlöscher aus mehreren Metern Höhe. Bei den Übergriffen wurden mehrere Menschen verletzt und mussten ärztlich behandelt werden. Der Neonazi David Petereit, der für die NPD in der Rostocker Bürgerschaft sitzt, filmte die Szenerie. Obwohl für den Prozess von Beginn an enorme Sicherheitsvorkehrungen galten, traf die Polizei erst kurz vor Beginn der Verhandlung ein und begann damit zunächst die Neonazis in den Gerichtsaal zu lotsen. Während des Prozesses wurden die bis zu 60 anwesenden Neonazis schließlich durch eine Polizeikette streng von nicht-rechten Zuhörern getrennt.

“Rechter Gewalt offensiv entgegentreten”

admin am 15. März 2010 um 23:50

Kundgebung als Zeichen gegen rechte Gewalt – Prozessgruppe übt Kritik an schlampigen Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft

Pressemitteilung der Prozessgruppe Pölchow vom 15. März 2010

Unter dem Motto „Rechter Gewalt offensiv entgegentreten!“ demonstrierten am 15. März etwa 250 Menschen in Rostock vor dem Gebäude der Staatsanwaltschaft. Der Ort für den Protest war nicht zufällig gewählt: Die Kundgebung sollte der Kritik an den schlampigen Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft Nachdruck verleihen und in Sichtweite von NPD-Bürgerbüro und Neonazi-Laden ein deutliches Zeichen gegen rechte Gewalt setzen. Musikalisch unterstützt wurde die Kundgebung durch die antifaschistische Band „Feine Sahne Fischfilet“.

Besonders eindrücklich waren die Schilderungen von Betroffenen des brutalen rechten Übergriffs, die am späten Nachmittag über einen Lautsprecherwagen durch die Doberaner Straße hallten und Passanten auf den eigentlichen Anlass der Kundgebung aufmerksam machten. Der liegt nun schon mehr als zweieinhalb Jahre zurück: Am 30. Juni 2007 machten sich etwa 60 links-alternative Jugendliche vom Fusion-Festival in Lärz mit dem Zug auf den Weg nach Rostock, um sich an Protesten gegen einen Aufmarsch der NPD zu beteiligen. Am Bahnhof Pölchow wurden sie von Neonazis aus einer Gruppe von mehr als 100 Rechten angegriffen. Die Neonazis stürmten die Bahn, schlugen und traten auf ihre Opfer ein und verletzten viele von ihnen erheblich.

Neben den Aussagen der Betroffenen, wurde in Redebeiträgen der Prozessgruppe Pölchow und einer antifaschistischen Gruppe aus Rostock auf die unrühmliche Rolle hingewiesen, die nicht nur den Angreifern, sondern auch den staatlichen Behörden im Fall Pölchow zukommt. Ihren fragwürdigen und fahrlässigen Ermittlungen ist es geschuldet, dass die Propaganda der NPD in der Öffentlichkeit Gehör fand, zunächst gegen die Opfer des Angriffs ermittelt und letztlich nur drei Tätern der Prozess gemacht wurde. Im Prozess selbst fiel die zuständige Staatsanwältin vor allem durch ihre Inaktivität auf und forderte Bewährungsstrafen. Die Staatsanwaltschaft Rostock sei „auf dem rechten Auge blind“, kritisierte der Anwalt eines Nebenklägers im Prozess. Am 16. März wird vor dem Landgericht Rostock um 13 Uhr das Urteil gegen die drei angeklagten Neonazis gesprochen.

Im Hinblick auf die Urteilsverkündung erklärt Franziska Holtz von der Prozessgruppe Pölchow: „Verurteilungen und Verbote ändern nichts an der breiten Zustimmung von Teilen der Bevölkerung zu menschenfeindlichen Ideologien. In Rostock treiben Neonazis auch weiterhin ihr Unwesen, etwa in der Rostocker Bürgerschaft, ihrem Szenegeschäft ‘Dickkoepp’ sowie dem NPD-Bürgerbüro. Derweil mobilisiert die NPD für einen Aufmarsch am 1. Mai in die Hansestadt. Diese und ähnliche Aktivitäten der Neonazis haben und werden immer wieder unseren Protest heraufbeschwören. Der Pölchow-Prozess hat einmal mehr gezeigt, dass Antifaschismus nicht dem Staat überlassen werden kann.“

“Brutale Gewalt ist Bestandteil wie logische Konsequenz ihres Hasses”

admin am 15. März 2010 um 23:45

Rede der Prozessgruppe Pölchow zur Kundgebung “Rechter Gewalt offensiv
entgegentreten” am 15. März in Rostock.

In der Verhandlung des rechten Überfalls in Pölchow ist einmal mehr deutlich geworden, wie brutal die Nazis gegen ihre Opfer vorgegangen sind: Ohne Hemmungen traten und schlugen sie auf sie ein, zerrten sie an ihren Haaren in den Mob der Angreifer, prügelten mit Holzlatten, warfen sie eine Böschung hinunter. Keiner der anwesenden NPD-Kader versuchte, die Neonazis von der Gewalt abzuhalten – warum auch, ist doch die Gewalt untrennbarer Teil jeder rechten Ideologie.

Stattdessen nahmen die Partei-Funktionäre die Schläger wohlwollend in Schutz: Während die im Internet ihren brutalen Exzess feierten und T-Shirts mit der Aufschrift “Endstation Pölchow” zur Schau stellten, wetterte die NPD über einen linken Überfall. Gegen diesen habe man sich zur Wehr setzen müssen, so die Neonazi-Partei gegenüber Presse und Polizei.

Und diese glaubten trotz gegenteiliger Bilder am Tatort diesen Lügenmärchen. Von Auseinandersetzungen zwischen “Linken und Rechten” schrieben sie, die Polizei ermittelte monatelang gegen die Opfer. Und vergaß dabei die eigentlichen Täter: Michael Grewe, ein überregional bekannter Neonazi-Funktionär und Kommunalpolitiker der NPD, wurde per Steckbrief als “unbekannter Randalierer” gesucht. Woher sollte die Polizei die Rechten auch kennen, hatte sie in Pölchow doch weder ihre Personalien aufgenommen noch die Videos beschlagnahmt, die die Neonazis eifrig von ihrem Überfall gemacht hatten. Diesen Ermittlungspannen ist es geschuldet, dass von den vielen Rechten nur drei auf der Anklagebank landeten – ganze zweieinhalb Jahre nach dem Angriff.

Doch was sie mit ihnen im Gericht anfangen sollte, schien die Staatsanwaltschaft nicht so richtig zu wissen. Ihre Beiträge im Gericht ließen sich an einer Hand abzählen. Und wenn die Staatsanwältin mal etwas zu sagen hatte, schien es die Tatverdächtigen noch zu entlasten. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die Staatsanwaltschaft kümmerliche Bewährungsstrafen für die beiden Hauptverdächtigen forderte und einem sogar unterstellte, sich von der Neonazi-Szene distanziert zu haben.

Aber selbst das war den Angeklagten noch zu viel. Befragen lassen wollten sie sich nicht, aber unverfroren tischen der NPD-Funktionär Michael Grewe und Dennis Franke in Stellungnahmen dem Gericht Märchen auf, wie sie wagemutig gegen angreifende Linke vorgegangen seien. Die Anwälte, darunter das NPD-Landtagsmitglied Michael Andrejewksi, der Rostocker Hausanwalt der Neonazi-Szene Thomas Penneke oder dessen Kanzleikollege Sven Rathjens, sekundierten. In ihren Schauergeschichten hieß es, dass die Opfer einen Angriff der Neonazis erst hätten provozieren wollen oder mit Steinen aus dem Zug heraus die Rechten angegriffen hätten. Todesmutig und engelsgleich dagegen seien die Neonazis in den Waggon dieser angeblichen “Linksextremisten” gesprungen, um Ruhe herzustellen. Denn gewalttätig, so hieß es, könnten sie ja gar nicht sein, schließlich seien sie ja in der Friedenstruppe namens NPD-Ordnungsdienst aktiv. Die Polizei, so Neonazi-Anwalt Andrejewski, hätte auch nicht anders gehandelt.

Solche Phrasen sind es, mit denen seit Jahren Neonazi-Gewalt nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern kleingeredet oder legitimiert wird. Der Hass gegen Andersdenkende, gegen Menschen nicht-deutscher Herkunft oder auch gegen Obdachlose eint die rechte Szene, und brutale Gewalt ist Bestandteil wie logische Konsequenz ihres Hasses. Einschüchterungen, Drohungen und Übergriffe gehören zum Alltag von nicht-rechten Jugendlichen oder Migranten. Viele, so Opferberatungsstellen, nehmen dies als Normalität wahr und denken gar nicht mal mehr an den Gang zur Polizei oder Gegenwehr.

Nicht nur in der mecklenburgischen Provinz, sondern auch in Rostock und unserer unmittelbaren Nachbarschaft droht das Auftreten von Neonazis zum Alltag zu werden. Sie bedrohen alternative Jugendliche, schänden Gedenkstätten, greifen linke Projekte an oder werfen die Scheiben demokratischer Politiker ein. Nicht nur auf Flugblättern und in Schmierereien propagieren sie ihre Ideologie des Hasses. Nur ein paar Meter entfernt von hier verbreiten Neonazi-Laden und NPD-Büro seit Jahren ihre Hetzpropaganda und werden viel zu selten in ihrem Treiben gestört.

Eigeninitiative und ein starkes und selbstbewusstes Auftreten sind es jedoch, die Neonazis in die Schranken weisen können. Dem Staat können wir den Antifaschismus nicht überlassen: Die Polizei wirft Neonazis wie ihre Opfer unterschiedslos in einen Topf. Medien und vermeintlich linke Internetprojekte wie “Endstation Rechts” folgen dieser Argumentation und reden schnellstmöglich den “Extremismus” daher. Die rassistische, nationalistische und antisemitische Ideologie der Neonazis als Basis ihrer Gewalt blenden sie dabei aus. Der Staatsanwaltschaft, vor der wir heute stehen, war diese Ideologie keiner Erwähnung wert. Der Hass der Neonazis und ihre Propaganda sind jedoch die Grundlage wie auch der Kern jeder rechten Gewalt. Ein konsequenter Antifaschismus nimmt deshalb nicht Neonazis als Straftäter ins Visier, sondern eine politische Bewegung, die nichts anderes als die Barbarei herstellen will und ihren Ursprung in der Mitte der bürgerlichen Gesellschaft hat. Der Staat ist kein Antifaschist – nur das konsequente Engagement von uns allen vor Ort und auf der Straße kann rechte Gewalt effektiv eindämmen.

“Der Kampf gegen Neonazis kann nicht dem Staat überlassen werden”

admin am 11. März 2010 um 11:37

Vor Urteilsverkündung im Pölchow-Prozess Kundgebung gegen rechte Gewalt in Rostock

Pressemitteilung der Prozessgruppe Pölchow vom 10. März 2010

Mit einer Kundgebung vor der Rostocker Staatsanwaltschaft werden Antifaschist/innen einen Tag vor der Urteilsverkündung im Pölchow-Prozess auf rechte Gewalt sowie die schlampigen Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft aufmerksam machen. Einmal mehr ist dadurch deutlich geworden, dass die Auseinandersetzung mit Neonazis nicht dem Staat überlassen werden darf, sondern durch starkes und entschlossenes Engagement in der Gesellschaft geführt werden muss.

Im Sommer 2007 hatten Neonazis auf dem Weg zu einer NPD-Demonstration eine nicht-rechte Jugendgruppe in Pölchow brutal überfallen. Die Behörden ermittelten lange gegen die Opfer und nur träge gegen die eigentlichen Angreifer, so dass sich nach zweieinhalb Jahren nur drei Rechte vor dem Landgericht verantworten müssen. Polizei und Teile der Öffentlichkeit waren der NPD-Propaganda auf den Leim gegangen, die aus den Angreifern Opfer eines “linksextremen” Überfalls gemacht hatte. Im Prozess machten zwei der Angeklagten – darunter der Mitarbeiter der NPD-Landtagsfraktion Michael Grewe – aus dem Überfall weiterhin eine Notwehrhandlung, zugleich schilderte eine Vielzahl von Betroffenen das erschreckende Ausmaß der Gewalt und die Rohheit der Neonazis. Während die Nebenklage auf das ideologische Motiv des Angriffs und die fehlende Reue der Angeklagten hinwies, ignorierte die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer den neonazistischen Hintergrund der Tat. Einem der Angeklagten unterstellte sie sogar eine Distanzierung von der rechten Szene und forderte für die beiden mutmaßlichen Haupttäter Bewährungsstrafen. Das Urteil wird für den 16. März erwartet.

“Im brutalen Gewaltexzess gegen ihre Opfer offenbart sich der Kern jeder rechten Ideologie”, so Franziska Holtz, Pressesprecherin der Prozessgruppe Pölchow. “Polizei und Justiz dagegen scheinen sie kleinreden und den politischen Gehalt der Straftat ausblenden zu wollen. Dies zeigt einmal mehr, dass der Kampf gegen Nazis nicht den Behörden überlassen werden kann. Wir rufen deshalb dazu, auf am 15. März mit uns gegen menschenverachtende Ideologien, ihre Träger und die gesellschaftlichen Zustände zu demonstrieren, in denen rechte Einstellungen immer wieder in rechter Gewalt münden!”

Die Kundgebung unter dem Motto “Rechter Gewalt offensiv entgegentreten” findet am 15. März ab 17 Uhr vor der Staatsanwaltschaft Rostock in der Doberaner Straße 116 statt. Es sind mehrere Redebeiträge unter anderem von Betroffenen des Überfalls sowie ein Auftritt der antifaschistischen Band Feine Sahne Fischfilet geplant.