Nebenklagevertreterin: „Verurteilte können weiter grinsen“

Nachfolgend veröffentlichen wir eine Erklärung von Rita Belter, die im Prozess um den Angriff von Neonazis auf links-alternative Jugendliche in Pölchow als Vertreterin der Nebenklage auftrat und nun Stellung zum Urteil bezieht.

Stellungnahme der Nebenklagevertreterin zum Pölchow-Urteil

Die Geschichte steht in aller Klarheit fest: ca. 60 Teilnehmer des Festivals „Fusion“ werden am Bahnhof Pölchow von ca. 120 Nazis angegriffen; der Waggon wird mit Steinen attackiert, es dringen Schläger in den Zug ein, es wird eine Vielzahl von Menschen verletzt, Linke aus dem Zug und teilweise über den angrenzenden Zaun geschmissen…

All das hat das Landgericht Rostock zutreffend zur Grundlage eines Urteils gemacht, welches in Schuldspruch und Strafzumessung so gar nicht mit den getroffenen Feststellungen korrespondieren will. So wurden die Angeklagten zwar wegen Landfriedensbruch verurteilt, jedoch nur wegen einfacher Körperverletzung. Eine gemeinschaftliche Begehung sei nicht ersichtlich. Nicht?! Man stelle sich vor: aus einer Menge von ca. 120 Nazis vor dem angegriffenen Waggon lösen sich 2 Gruppen, die durch die hintere und vordere Waggontür in den Zug strömen, wobei zumindest die Anführer der beiden Gruppen (die beiden verurteilten Angeklagten) mehrfach auf Menschen einschlagen und -treten. In ihrem Schlepptau nicht nur ein Kameramann, der alles aufzeichnet, sondern weitere Beteiligte, die zusammen mit den beiden Angeklagten den Zug nach vermeintlichen Antifas durchkämmen. Diese Gruppen sorgen dafür, dass die angegriffenen Personen teils aus dem Zug in die draußen wartende Menge geschubst werden, wo es weitere Schläge und Tritte gibt oder die Zuginsassen „freiwillig“ den Waggon verlassen. Ein bewusstes Zusammenwirken der rechten Schläger also, was zu einer viel höheren Gefährlichkeit der konkreten Tatsituation führt als eine sog. einfache Körperverletzung. Ein Umstand, der zu einer gesetzlich vorgesehenen Mindestfreiheitsstrafe von 6 Monaten führt, zumindest nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB und der hierzu ergangenen Rechtsprechung.
Warum sich das Landgericht Rostock darüber hinwegsetzt, ist weder nachvollziehbar noch erklärbar. Entsprechendes gilt für die verhängten Strafen. Ein Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung für den mehrfach u.a. wegen Körperverletzungen vorbestraften Angeklagten Dennis F., dem die Verfahrensverzögerungen in die Hände spielten, so dass eine zwischenzeitlich verhängte Bewährungsstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung nunmehr wohl erlassen wird. Ebenfalls eine Bewährungsstrafe für den Chef des Ordnungsdienstes der NPD, der, wenn man den Ausführungen seines Verteidigers Glauben schenkt, als Quasi-Polizist für Ordnung sorgen wollte. Daß er hierbei mindestens 4 Zuginsassen vorsätzlich verletzte und Sprüche wie „Reißt ihnen die Piercings raus“ u.ä. skandierte, hielt ihn nicht davon ab eine ominöse Notwehrlage gegen angeblich vermummte militante und bewaffnete Autonome zu konstruieren, die mit der Inaugenscheinnahme des vor Ort aufgenommenen Polizeivideos vollends in Staub zerfiel: kein einziger verletzter Nazi zu sehen, auch keine schwarz vermummten Autonomen, dafür eine Unzahl von Glassplittern, Haarbüschel und Blut im Zug sowie eine Vielzahl verletzter linker Jugendlicher.
Diesen wurde in der Urteilsbegründung zur Last gelegt, sie hätten viel zu spät Anzeigen erstattet. Interessanterweise gab es bereits vor Ort Versuche Strafanzeigen gegen die Nazis zu erstatten. Da aber Udo Pastörs gegenüber den eingetroffenen Ermittlungsbeamten sogleich eine an den Haaren herbeigezogene Geschichte von einem angeblich linken Überfall vom Stapel ließ, wurden die Angegriffenen als Beschuldigte belehrt und ausgiebig videographiert. Die Menschen, die sich gegen diese Behandlung wehrten und Widerspruch einlegten, waren dann auch die, gegen die sich das Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruch in Pölchow zunächst richtete.
Die Rechten sollten – nachdem der Zug aus Pölchow am Bahnhof Rostock eingetroffen war – ebenfalls videographiert werden. Diese Maßnahme wurde allerdings abgebrochen und die Aufzeichnungen aus „Datenschutzgründen“ gelöscht.
In der Urteilsbegründung stellt das Landgericht Rostock heraus, der Polizei sei kein Vorwurf zu machen. Kein Vorwurf für die unzureichenden Bildaufzeichnungen der Rechten, die nicht nur zu einer öffentlichen Fahndung nach einem bereits namentlich bekannten Beschuldigten führten, sondern auch zu der ursprünglich beschlossenen Nichteröffnung des Verfahrens aufgrund mangelhafter Lichtbildvorlagen.
Vor weiteren Überfällen der Nazis auf politisch anders denkende wird diese Entscheidung des Gerichtes wohl kaum abschrecken. So können die Verurteilten weiter grinsen, wie sie es die gesamte Verhandlung über, insbesondere bei den Vernehmungen der geschädigten Zeugen, getan haben.

Am Ende noch ein Wort zu einem Artikel der jungen Welt vom 17.03.2010, der den krönenden Abschluß einer Pannenserie darstellt: Wenn Sie, Herr Frank Brunner, in einer Hauptverhandlung feststellen, dass zuhörende Nazis private Daten aufzeichnen, sollten Sie den Mund aufmachen, dass dieses sofort unterbunden und die Aufzeichnungen eingezogen werden können. Eine telefonische Aussage im Februar 2010 „derzeit kein Interview zu geben“ sodann in falsche Zusammenhänge zu rücken, mit unvollständigen Zitaten aneinanderzureihen und 3 Wochen später – nach Urteilsverkündung – zu veröffentlichen, zeugt von der Qualität des Journalismus, die man insbesondere der Bildzeitung nachsagt.

Rita Belter

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